David Schnarch, einer der Pioniere der modernen Sexualtherapie, unterschied in seiner Arbeit zwischen fremdbestätigter und selbstbestätigter Intimität. Dadurch verstehen wir heute viele Dynamiken besser, die in Beziehungen ablaufen und zu Konflikten führen. Wie hilft uns diese Unterscheidung im Alltag? Ein Auszug aus dem Buch Intimität: Wie wir zueinander finden.
Die fremdbestätigte Intimität ist jene Form, die wir meist im Sinn haben und gern auch idealisieren, wenn wir an eine Partnerschaft denken. Sie funktioniert wie eine Art Pingpong: Wir äußern unsere intimen Gefühle und Wahrnehmungen, unser Gegenüber akzeptiert und bestätigt diese. Wobei eine Art wechselseitige Vereinbarung greift, bei der wir erwarten, dass sich auch unser Partner entsprechend öffnet, woraufhin wir ihn seinerseits mit Bestätigung „belohnen“. Siehe auch den einführenden Beitrag Was ist Intimität?
Schnarch fasst in seinem Buch „Intimität und Verlangen“ jenes Verständnis intimer Beziehungen, das nach einer Bestätigung im Außen verlangt, wie folgt zusammen:
Wenn Menschen sagen, dass sie sich tiefe Intimität wünschen, stellen sie sich gewöhnlich ein grenzenloses Reservoir bedingungsloser positiver Aufmerksamkeit vor, verbunden mit Vertrauen, Sicherheit und Akzeptiertwerden.
Es ist offensichtlich, dass ein solch einseitiges Modell schnell an seine Grenzen gerät. Vor allem dann, wenn in der Partnerschaft die ersten gravierenden Konflikte aufkeimen, die an den Grundmauern der Beziehung rütteln – etwa unterschiedliche Vorstellungen zu Liebe, Sexualität oder Treue.

Was passiert, wenn uns hauptsächlich daran liegt, von unserem Gegenüber akzeptiert und bestätigt zu werden? Wir geben nur noch jene Gedanken, Gefühle, aber auch Ängste preis, bei denen wir uns sicher sein können, dass der Partner oder die Partnerin möglichst positiv reagiert.
Harmoniesucht und Konformität
Beim Sex ist es ganz ähnlich: Dort konzentriert sich alles auf konforme Abläufe, die uns bewährt und damit „sicher“ erscheinen. Die fremdbestätigte Intimität basiert also schnell vielmehr auf Beschwichtigungsversuchen als auf echtem Vertrauen. Schnarch nennt dies die „Tyrannei des kleinsten gemeinsamen Nenners“.
Eine unbewusst ablaufende Übereinkunft, die – wenn überhaupt – nur so lange funktioniert, wie das Verlangen nach Intimität bei beiden Partnern in etwa gleich ist. Schwierig, denn diese Gewichtung verändert sich fortlaufend. Zudem sind Paare, die sich selbst bestätigen oder beschwichtigen, meist deutlich schlechter darauf vorbereitet, schwierige Phasen zu meistern.
Dem gegenüber steht die selbstbestätigte Intimität. Bei ihr öffnen wir uns unseren Partner*innen selbst dann, wenn wir nicht erwarten können, dass diese unsere Gedanken gutheißen, teilen oder akzeptieren. Der Vorteil: Damit machen wir uns und unseren Selbstwert weniger abhängig davon, was der andere von uns erwartet. Ein äußerst ehrliches Modell, das jedoch einiges an innerer Reife, Geduld und Flexibilität erfordert. Oder, wie Schnarch es formuliert:
Intimität mit Ihrem Partner beinhaltet nicht zwangsläufig, dass Sie von ihm bekommen, was Sie sich wünschen.
Wer rein darauf setzt, in seiner Intimität Bestätigung durch den Partner zu erfahren, führt meist ein Versteckspiel. Oder ist unaufrichtig zu sich selbst. Denn sobald erste unterschiedliche intime und sexuelle Bedürfnisse in der Beziehung sichtbar werden – und das tun sie früher oder später –, geht es in der fremdbestätigten Variante meist nicht anders, als diese zu verwässern oder gar zu leugnen. Immer auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der beide Beteiligte ihr Gesicht wahren lässt.
Angst verhindert Beziehung
Da ist im schlimmsten Fall die permanente Angst, etwas zu äußern, was unsere Partner*innen aufschrecken lässt oder verunsichert, sodass das bisherige Konzept der wechselseitigen Beruhigung und Besänftigung ins Wanken gerät. Genau diese Dynamik verhindert Nähe. Der Sexualtherapeut Tobias Ruland meint dazu:
Intimität bedeutet, dass ich selbst frei und offen derjenige sein kann, der ich bin, und zwar in fremder Gegenwart. Intimität ist ein Phänomen, das weder an das Bestehen einer romantischen Liebesbeziehung noch an Akzeptanz oder Bestätigung gebunden ist.
Gerade Letzteres ist ein wichtiges Merkmal, das wir im Kampf um gegenseitige Anerkennung in der Beziehung gern übersehen. So schreibt der Paartherapeut weiter:
Intimität setzt voraus, dass ein Mensch stark genug ist, in sich selbst Halt zu finden, sich selbst(kritisch) beobachten und einschätzen zu können und seinen Gedanken und Gefühlen adäquat Ausdruck zu verleihen.
In Beziehungen, die sehr intensiv auf Fremdbestätigung basieren, werden selbst feinste Spannungen in Windeseile neutralisiert und wieder auf Norm gebracht. Damit kommt unter anderem auch jene Dynamik zum Erliegen, die für eine lebendige Erotik unerlässlich ist.

Noch ein weiterer Aspekt: Wir trauen uns nicht zu, offen über Dinge zu sprechen, die die Beziehung herausfordern könnten? Dann erreichen wir wohl kaum jenen Grad an Intimität, der sich sicher sein kann, dass wir von unseren Partner*innen nicht nur aufgrund möglichst konformer Vorstellungen und Äußerungen geliebt werden. Oder anders formuliert: Manchmal wissen wir erst nach einer Krise, die wir gemeinsam durchlebt haben, dass die gemeinsame Intimität unsere Beziehung trägt. Selbst dann noch, wenn eben nicht alles rosarot und flauschig läuft.
Weniger beliebt sein wollen, mehr lieben
Eine Intimität, die aus uns selbst herauskommt, entwickelt sich selbst dann, wenn wir etwas von uns offenbaren, das der andere nicht teilt. Unser Gegenüber muss das Gehörte nicht mögen, aber realisieren und respektieren, dass sich der Partner geöffnet hat.
Nehmen wir einmal an, wir stehen zu unseren Bedürfnissen, selbst wenn dies zu Konflikten führt. Damit fällt es uns umgekehrt auch leichter, Nein zu sagen, falls wir einem intimen Wunsch unseres Partners nicht folgen wollen. Sobald wir unser Handeln bewusst reflektieren, im gegenseitigen Austausch, werden beide Parteien in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt.
Idealerweise gibt es dabei kein „Ich sage dir nur das, was du hören willst“ mehr. Beide Partner sind offen für die Gefühle und Ideen des anderen, müssen diese aber deswegen noch längst nicht zu ihren eigenen machen. Geschickt ausbalanciert – und bei entsprechendem Entwicklungsgrad der Partner*innen sowie der Beziehung selbst – entsteht daraus mit der Zeit ein Vertrauensverhältnis, das Autonomie und Bindung zugleich möglich macht. Und das damit unseren klassischen, ewigen inneren Kampf ausgleicht, zumindest ein gutes Stück weit. Ruland formuliert es in „Die Psychologie der Intimität“ wie folgt:
Intimität bedeutet, dass sich ein Mensch in Gegenwart eines anderen selbst versteht und offenbart. Intimität bedeutet, durch das, was man tut oder sagt, sich selbst, sein Innerstes, seine eigenen innersten Gefühle und Gedanken wahrhaftig nach außen zu tragen und sich selbst bei dieser Selbstpreisgabe zu erleben.
Intimität entsteht, wenn wir uns preisgeben. Viele Paare haben diese Stufe der Entwicklung noch nicht verinnerlicht. Genau dann kommen schnell Gedanken und Gefühle der Art auf: „Da muss doch noch mehr sein“ oder „Es reicht nicht für eine dauerhafte Beziehung“. Der Grund ist oft, dass sich beide Partner – oder zumindest einer davon – als etwas ausgeben, das sie nicht sind.
Autonomie und Bindung
Wir alle verfügen über die Fähigkeit, unsere intimen Gedanken mitzuteilen – unabhängig von unserem Gegenüber. Dieser Schritt erfordert nicht einmal, dass die Öffnung von beiden Seiten aus erfolgt. Tobias Ruland führt folgende Beispiele an:
Man kann mit wildfremden Menschen intim sein, wenn man sich öffnet und seine Gedanken oder Gefühle preisgibt. […] Man kann sich seinem Partner gegenüber auch nach 40 Jahren Ehe noch öffnen und so ein Gefühl der Intimität erleben, wenn man das möchte.
Selbst wenn das Gegenüber nicht in Resonanz gehen sollte, bleibt der Moment immer noch für jenen Menschen intim, der sich öffnet. Eine solche einseitige Erfahrung mag zwar zunächst frustrierend sein, bestätigt jedoch gleichzeitig die eigene Befähigung zur Intimität. Ein Grund zu feiern! Denn darauf lässt sich in zukünftigen Situationen aufbauen.
In diesem Sinne können wir eine Intimität, die sich selbst trägt, lernen, ohne dabei vom „richtigen“ Partner oder der „richtigen“ Partnerin abhängig zu sein.
Der „richtige“ Partner, die „richtige“ Partnerin
Sobald wir diese Selbstwirksamkeit erfahren, wachsen nicht nur wir selbst, sondern ebenso unsere Fähigkeit zu einer Liebe, die mit weniger Bedingungen auskommt. Der Satz „Ich liebe dich“ läuft dann weniger Gefahr, zur reinen Floskel zu werden. Denn er wird in dem wachsenden Verständnis geäußert, dass unser Partner bzw. unsere Partnerin „er/sie selbst sein darf“, trotz Beziehung.
Normalerweise denken wir an klassische Paarbeziehungen, wenn wir von Intimität sprechen. Doch braucht es für intime Momente stets genau zwei Personen? Dürfen es auch mehr sein? Oder ist Intimität nicht genauso gut für uns allein möglich? Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn wir uns mehr mit den Signalen beschäftigen, die unser Körper und unsere Seele fortlaufend aussenden – um uns so zunächst einmal selbst näherzukommen.
Können wir also gut für uns allein sein, ohne gleich unruhig zu werden oder uns selbst infrage zu stellen? Selbstbetätigung bedeutet, sich mit dem „Alleinsein“ auseinanderzusetzen. Die Antworten, die wir dabei finden, tragen nicht nur uns selbst, sie tragen auch unsere Beziehungen.
Bilder: Naomi August, Becca Tapert, Eric Ward
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